Bill Buford - Hitze
Von Claudia am Apr 21, 2008 | In Rezensionen
Wovon träumt ein Foodie? Davon, nachts in einem Pralinenladen eingeschlossen zu werden? Sich jedes erdenkliche Restaurant leisten zu können, wann immer man möchte? Vielleicht. Viel eher träumen aber die meisten davon, einmal den Spitzenköchen über die Schulter zu schauen oder gar selbst den Kochlöffel in den hitzegeschwängerten Küchen zu schwingen. Einfach alles liegen lassen und drauf loskochen. Einer, der sich diesen Traum erfüllt hat, ist Bill Buford, ehemals Literatur-Chef des "New Yorker". Was zunächst nur rein berufliches Interesse war, um ein Portrait über Mario Batali, Chef des "Babbo", einem italo-amerikanischen Restaurant in New York, zu schreiben, wurde zu einer langen Lehrzeit. "Hitze" beschreibt die einzelnen Stationen.
Angetrieben von einer mehr als journalistischen Neugier, will Buford alles lernen. Er taucht ein, so wie er in den 80er-Jahren in die Hooligan-Szene eintauchte und anschließend über das Phänomen "Gewalt" in dieser Gruppe schrieb. Auf einer Dinner-Party bietet er sich Mario Batali an, der damals schon durch seine "Molto Mario"-Sendungen im FoodNetwork bekannt war. Buford arbeitet unbezahlt. Macht alles, was man ihm sagt. Will beweisen dass er das kann. Schritt für Schritt begleitet man den Journalisten auf dem Weg zur Kochwerdung. Leidet mit ihm, wenn er sich mal wieder verletzt: "Die Schneidemaschine ist groß, die Rüben sind klein und schlüpfrig. Es gab ein knirschendes Geräusch. Ich machte meinen üblichen Sprung. Alle erstarrtetn. Tony Liu beugte sich vor, um zu sehen, ob mein Finger im Messer steckte. 'Nein, nein', sagte ich, 'nur der Nagel und die Fingerkuppe.' Es folgte die übliche Prozedur: Desinfektionsmittel, Verband und ein Gummischutz, den ich über meinen jetzt verkürzten Zeigefinger stülpte."
Als Buford im Babbo genug gelernt hat, zieht es ihn nach Italien. Pasta machen. Wie eine Nonna. Er versucht dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, wann erstmals Eier in den Pastateig wanderten. Er ist so besessen, dass er Kontakt zum Pasta-Museum aufnimmt. Als man ihm dort nicht weiterhelfen kann, wendet er sich an einen Professor, doch auch der kann ihm nicht weiterhelfen.
Der Großstadt-Autor lernt in der Toskana das Einfache lieben: "Es gibt ein Sprichwort in Italien: brutto ma buono, hässlich, aber gut, das das amateurhafte, oft ungleichförmige, aber echte handgemachte Essen feiert." Leicht philosophische Zeilen lassen aber auch immer wieder den Intellektuellen durchblitzen: "Von Hand gemachtes Essen ist ein Akt des Trotzes und widerspricht allem, was unsere Modernität ausmacht."
Auf die Pasta-Lehre folgt die Zeit bei einem der besten Metzger Italiens. Auch dort saugt Buford alles begierig in sich auf, lernt noch mehr Italienisch und erfährt die hohe "Weihe":
"Auf dem Parkplatz wandte sich Dario mit großem Ernst an mich: 'Ein Metzger schläft nie. Ein Metzger arbeitet tagsüber mit Fleisch und spielt nachts mit dem Fleisch. Ein echter Metzger ist ein Schüler der Fleischlichkeit. Du bist jetzt ein Mitglied der fleischlichen Konföderation der Metzger. Du lernst, mit Fleisch zu arbeiten wie ein Metzger. Du musst jetzt lieben wie ein Metzger. Den Rest der Nacht musst du die dunklen Akte der Fleischlichkeit vollführen: die Fleischlichkeit eines Metzgers. Und dann wirst Du in den Stunden vor dem Morgengrauen aufstehen, nach Fleischlichkeit riechend, und das Fleisch vom Laster abladen, wie ein Metzger.'
Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Mein Boss wollte mir weismachen: Um meinen Job zu tun, müsste ich jetzt nach Hause gehen und Sex haben. Es war bereits ein langer, langer Tag voller Fleischlichkeit gewesen. Der Fleischlaster würde in ein paar Stunden eintreffen. Es schien ziemlich unwahrscheinlich, dass ich noch das Durchhaltevermögen für mehr Fleischlichkeit haben würde und meine Frau den Rest der Nacht nach Metzgerart lieben UND mich ohne Schlaf vor dem Morgengrauen zum Arbeiten melden würde. Vielleicht hatte ich doch nicht die richtige Konstitution für dieses Leben. Aber wissen Sie, ich tat mein Bestes. Ich wollte die Gilde nicht im Stich lassen."
W?hrend man Literatur-Kritikern ja gern vorwirft, sie könnten nicht schreiben und würden aus lauter Frust darüber kritisieren, kann man Buford ein Kompliment machen: Er versteht es, Spannung aufzubauen. Sein so locker und amüsanter Bericht ist fundiert, und gleichzeitig taucht man mit ihm ein in eine Welt, in der sich Leute tagtäglich aufs Neue abmühen, Gästen etwas aufzutischen, was sie selbst sich nicht leisten könnten. Dabei ist und bleibt Buford aber auch Beobachter, der registriert und pointiert und messerscharf resümiert. Mittendrin und doch außen vor. Das macht den Journalisten in ihm aus.
Mehr als einmal fühlte ich mich auf's Beste unterhalten. Man stelle sich vor: Dieser studierte Literatur-Chef eines renommierten Blattes trifft auf die unterschiedlichsten Menschen, die ihn beeindrucken und verblüffen, deren Sprache er nicht immer versteht, aber die er zu lernen bereit ist. Am Ende macht ihm Mario Batali einen Vorschlag. Den er ablehnt. Er hat noch nicht genug gelernt. Er will weiter ...
Es ist wirklich selten, dass mich ein Buch so mitrei?t, dass ich es gar nicht aus der Hand legen mag und hinterher ein wenig traurig bin, dass nun keine Seiten mehr übrig sind. Um ehrlich zu sein, passiert mir das nur alle Jubeljahre einmal - zuletzt bei Frank McCourts "Angela's Ashes". "Hitze" gehört auf jeden Fall in diese Kategorie. Ach ja: Welcher Küchenchef eines Spitzenrestaurants nimmt mich als Lehrling?
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8 Kommentare
Ich habe das Buch gerade begonnen. Es stimmt, dass es sich gut liest. Aber dass man es gar nicht mehr weglegen kann - da gibt es ganz andere B?cher.
Mich erinnert "Hitze" sehr an "Gest?ndnisse eines K?chenchefs" von Anthony Bourdain.
@mipi: Ja, "Hitze" kommt aus der gleichen Ecke wie Bourdains "Gest?ndnisse eines K?chenchefs". Allerdings zelebriert Buford nicht den "ich- bin-so-abgewrackt-und-wir-nehmen-alle-Drogen"-Lifestyle. Buford geht es um's Essen, um die Nahrungsmittel. Er jagt Geschm?ckern und Zubereitungsarten hinterher. Ingesamt ist Buford f?r mich reflektierter, intellektueller.
Ich habe das Buch vor einogen Tagen zu Ende gelesen und ich war ?berrascht, wie viel Lust auf Essen und Selberkochen man schon durch das Lesen kriegt. Alleine durch die Beschreibung des Risotto-Kochens habe ich jetzt schon vier Mal Risotto gemacht. ?hnlich die Beschreibung eines richtigen Rag?s.
Nach dem Lesen habe ich mich dann auf die Suche nach ein paar guten Kochblogs gemacht. Und so schliesst sich der Kreis.
Ich habe das Buch in den Osterferien verschlungen und fand es deutlich informativer als den Bourdain. Ich jedenfalls habe eine Menge gelernt (Auch zur Geschichte des Risottos) und freue mich auf eine Fortsetzung.
Ich hatte mir Heat gleich gekauft, als es vor 2 Jahren hier herauskam. Auch mir hat es ausgesprochen gut gefallen, vor allem auch, weil ich dadurch viel ueber Mario Batali gelernt habe, den ich sehr schaetze.
Und seit diesem Buch hebe ich mir immer das Pasta Kochwasser auf( friere es ein ), um es beim naechsten Pastakochen wieder zu verwenden. Es stimmt, Pasta schmeckt viel besser so:-))
@pascalW: Ja, auf Risotto hatte ich nach der Lekt?re auch immer wieder Appetit :-)
@Petra: Ja, irre, was Buford zus?tzlich an Wissen r?bergebracht hat, oder?
@Ralph: Und ich habe jetzt mehrmals schon auf das Sieb verzichtet und die Pasta direkt aus dem Topf - nur leicht abgetropft - auf den Teller gegeben :-)
Ich schleiche schon l?nger um das Buch herum - Danke f?r die Rezension, ich werde es wohl kaufen m?ssen. Habe richtig "Appetit" bekommen ;-)
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