Die Joghurtlüge
Von Claudia am Jan 17, 2007 | In Rezensionen
Das war eine schwere Geburt. Die Joghurtlüge - Die unappetitlichen Geschäfte der Lebensmittelindustrie von M. Vollborn und V. D. Georgescu hat mich hin- und hergerissen.
Bereits im Vorwort heißt es: "Vielmehr löst die gigantische Marketingmaschinerie der großen Dominatoren am Lebensmittelfirmament eine Verhaltensänderung bei den Verbrauchern aus. Wissenschaftlich fundierte Untersuchungen belegen, dass diese Mechanismen existieren und deren Folgen gravierend sind: 'Immer d?mmer' würden Menschen, weil der Konsum bestimmter Lebensmittel einen wahren Teufelskreis auslöse. Erst übergewichtig, dann träge und am Ende nur noch vor dem Fernsehapparat - das sei etwa der vorgezeichnete Weg bei vielen Jugendlichen, konstatierten Wissenschaftler [...]."
Ja, ja. Und Jugendliche, die heute Counterstrike spielen, laufen morgen in der Schule amok. Dass die Gründe für die meisten Verhaltensweisen vielschichtiger sind, sollte jedem klar sein. Wer den Verheißungen der Lebensmittelindustrie glaubt und ihre Produkte konsumiert, muss nicht zwangsläufig träge, fett und dumm vorm Fernseher landen.
Klar, bei einem Aufklärungsbuch über Inhaltsstoffe und Praktiken der Lebensmittelindustrie ist sicherlich nicht ganz auszuschließen, dass auf letzterer herumgehackt wird. Aber irgendwie weigere ich mich, allein die Lebensmittelindustrie für alles Schlechte, was unseren Körpern widerfährt, verantwortlich zu machen. Es wird ja keiner gezwungen, widerlich süße Schokoriegel oder Glutamat-Suppen zu kaufen. Alternativen gibt es, auch wenn sie aktive Auseinandersetzung mit den Thema verlangen. Selbstverantwortung hat noch niemandem geschadet. Vielmehr sollte schon in den Kindergärten und Schulen angesetzt werden, um Kindern zu zeigen, dass Essen mehr als Nahrungsaufnahme ist. Ich habe mich vor einiger Zeit regelrecht geschüttelt als ich auf dem Essensplan einer Haupt- und Realschule "Putenbrustfilet mit brauner Sauce" las. Die Schüler sagen nie "Das hat gut geschmeckt." Wie auch ... Man muss ihnen schmackhaftes Essen beibringen, wenn es ihnen schon Zuhause nicht mit in die Wiege gelegt wird. Je besser sie schmecken können, desto eher fallen sie später nicht auf Pfannkuchenteig in Flaschen und Suppe aus der Tüte herein.
Nachdem ich erst einmal meine persönlichen Vorurteile wegen des ziemlich populistischen Ansatzes etwas gedämpft hatte, habe ich mich durch den Hauptteil des Buches gelesen. Es ist ein Querschnitt durch alle Bereiche der Ernährung und alle Lebensmittelskandale. BSE, Pestizide, Acrylamid, Süßstoffe - alles wird haarklein erläutert und darin liegt der Wert des Buches. Man kann vieles Nachschlagen, das gut sortierte Register und die umfangreiche Literaturliste machen die Recherche leicht. Wer noch keines der bereits sehr populären Ernährungsbücher - beispielswiese "Die Suppe lügt" oder "Die Ernährungslüge" von Grimm - gelesen hat, erfährt Interessantes, Informatives und Schockierendes. Für mich waren einige Zusatzstoffe neu, so wußte ich beispielsweise nicht, dass Natamycin, ein Breitbandmykotikum, bei einigen Käsesorten in der Rinde vorkommt und bis zu fünf Millimeter in den Käse eindringen kann.
Das Buch eignet sich, wie ich finde, nicht unbedingt zum "In-Einem-Rutsch-Durchlesen". Ich fand es ab und an recht schwer verdaulich und musste mehrere Sätzen häufiger lesen, um zu begreifen, was gemeint war. Chemiker und Lebensmittelchemiker finden sich vielleicht besser zurecht. Aber immerhin habe ich das kleine chemische Praktikum für Biologen auch absolviert ...
Bei einer Frage hilft dieses Buch ebenso wenig weiter, wie die gesamte andere Ern?hrungsliteratur: Was ist eigentlich gesunde Ern?hrung? Vielleicht auch ein wenig zu viel verlangt. Aber da zitiere ich mal einen Ausspruch eines Ernährungswissenschaftlers in der Zeit vor einigen Wochen. Konrad Biesalski machte seinen Studenten zu Beginn einer 80stündigen Vorlesung folgenden Vorschlag: "'Wer mir am Ende der Vorlesung sagt, was gesunde Ernährung ist, bekommt einen Preis.' Der Preis bleibt unverliehen."
Kurzes Fazit: Viel Wissen, das für mich ein wenig erm?dend an den Mann oder die Frau gebracht wird. Wer sich für die Materie interessiert und auch vor 336 Seiten nicht zurückschreckt, dem sei das Buch trotz einiger Längen empfohlen.
12 Kommentare
Spitze!!!
Zu deinen Anmerkungen bezüglich Kindern: Meine essen in der Schule so gut wie nichts (na sowas ;-) ), dafür zuhause alles, wenn auch nicht immer alles mit Begeisterung. Und warum es bei anderen Müttern, laut deren eigener Aussage (das höre ich jedenfalls sehr oft), Kinder gibt, die das Essen bemängeln, kaum etwas davon essen oder sogar fastfood vorziehen oder so etwas wie Miracoli (iiih) (ist eigentlich auch fastfood), kann man sich ja gerne fragen. Ich freue mich jedenfalls immer, wenn ich im Restaurant von meinen Kinder so etwas höre wie: "Von dir schmeckt mir das aber viel besser". Und ich bin stolz darauf, dass meine Kinder, als sie noch klein waren, sich bei einer Einladung geweigert haben Pfann.-Kartoffelbrei und Igl.-Fischstäbchen zu essen, da das kein "richtiges" Essen sei.
So wie bei Dir sieht's idealerweise aus. Eine Geschmackschule w?r schon nicht schlecht. Wenn ich nur daran denke, dass eine erwachsene Frau ungl?ubig ist, wenn man ihr erz?hlt, dass man Kartoffelmus selbst machen kann (im Bekanntenkreis so passiert ...), k?nnte ich eine Krise bekommen.
Tja, mein Burger schmeckt auch besser! Aber wie soll Mann/Frau denn heute noch kochen (lernen)? In vielen "Kochb?chern" oder "Kochzeitschriften" steht doch 1 Paket hiervon und davon und die Werbung zeigt, dass Pfannkuchen aus der Flasche kommen. Mein Standardbuch von Dr.O hat sich von 1927 bis heute auch nicht unbedingt vorteilhaft ver?ndert.
Man sollte B?cher von Dr. Oe. nicht zum Standard erheben. Gibt doch genug andere tolle B?cher ;-)
Nochmal ich.
Kochbücher gibt es ganz tolle. Und man kann sich (und seine Kiddies)nicht nur kochtechnisch und geschmacklich schulen. Ich denke gerade beim Kochen kommt da der Vorbildcharakter von Eltern zum tragen.
Von Jamie Oliver gibt es dazu einen passenden Artikel.
in meiner schule gab es kein essen, in der schule meiner tochter gibt es seit 2 jahren (5./6.klassen kamen dazu und abi nach 12jahren, dadurch laengerer unterricht, also "kantine") essen, das aber sehr teuer und gleichzeitig ungeniessbar sein soll.
warum gibt es nicht an allen schulen ab der 7.klasse "hauswirtschaftsunterricht"?
was macht man eigentlich mit frischen nahrungsmitteln, wie waescht man waesche, vielleicht auch: was faengt man mit kindern an (elternunterricht)?
hat jemand mal "die braeuteschule" angesehn? bei der ersten folge dachte ich noch: oh, die duemmsten maedchen deutschlands, aber als ich dann mal nachgedacht hab, wie verpeilt meine tochter und deren freundinnen sind... tja, das wird eine reine freude, wenn die mal allein wohnt.
@mutant. Weil es ganz viele verpeilte Eltern und Politker gibt, die es verhindern, dass an Schulen vern?nftig gekocht wird. Da befindet der Gemeinderat, Essen aus der Folie t?te es auch. Und ich muss mich als "Rabenmutter" beschimpfen lassen, weil ich es verlange, dass die Kinder die Socken f?r die ganze Familie sortieren und ihr Sportzeug selber waschen m?ssen.
Ich arbeite am "Kochunterricht" zu Hause.
Das sch?nste Erlebnis der verp?hnten "Bio-Vadder" und "?ko-Mudder" (Achtung Fr?nkisch f?r Eltern) war die Heimkehr der 16-j?hrigen Tochter aus dem Frankreich-Sch?ler-Austausch mit Fastfoodabo: "Kocht mir was!"
Mit ein wenig Gl?ck sp?rt man nach vielen Jahren der Kritik eine Anerkennung des kulinarischen und p?dagogischen Aufwands.
Nebenbei: Als ich 7 Jahre alt war, sagte meine Mutter (und handelte danach), dass man kochen k?nnen muss. Danke!
ich hab kochen durch abkucken und nachmachen gelernt, von meinem vater und meiner oma.
dafuer, das es mir keiner beigebracht hat, geht es sehr gut.
das kint hat zu weihnachten konsequent kochbuecher bekommen und den auftrag, in baelde fuer uns zu kochen.
bin mal gespannt, ob das hinhaut, den kartoffelsalat zu weihnachten hat sie schon ganz gut hingekriegt, unter aufsicht versteht sich (ich haette den selber gemacht, aber ich war in zeitnot und musste noch ein dessert fuer den ersten weihnachtstag machen).
Aus den ganzen pers?nlichen Erfahrungen kommt eines klar heraus: Wer das Kochen zu Hause vorlebt, s?ht bei seinen Kindern Saat, die irgendwann aufgeht!
mit der betonung auf irgendwann....
(ich durfte im letzten jahr das erste mal ueberhaupt im haushalt meines vaters was kochen, ohne das er mir reingeredet oder was aus der hand genommen haette...)(er hatte aber auch keine zeit und war ausser haus bis zum abendessen)
Ich bin immer wieder erstaunt,wie das Selbstverständlichste in unserem Leben- auf dieser welt - zu einem riesen Problem ausgeartet ist.
Warum haben wir das "Wichtigste"- die Fähigkeit zur "eigenen Selbstversorgung" verlernt? Dazu gehört kochen- Haushaltsführung--Ernährung- Wäschepflege -auch putzen und Reinigung der eigenen 4 Wände und sonstige Tätigkeiten-warum haben wir das Erlernen dieser Fähigkeiten derart vernachlässigt?
Alles war wichtig, nur nicht die Fähigkeit, sein eigenes leben zu bestreiten um nicht zu verhungern und zu verdrecken. Was nützt uns alles Wissen, wenn wir von Nahrung keine Ahnung mehr haben, am eigenen Herd verhungern. Nur die Nahrung hält uns am Leben.Wir müssen als lebendes Bioprodukt der Natur nun mal Essen und Trinken.
Genau das war für viele Zeitgenossen "niedere Arbeit"- das machten doch nur noch sog. "HEIMCHEN AM HERD".
Wie törricht muß man da sein.
Es wird Zeit, dass wir das den Kindern wieder beibringen. Von den Eltern lernen es leider viele nicht mehr. Die Schule kann man hier auch vergessen.
Was ist ein Leben mit -"Essen-aus der Tüte" ? Ein Jammer und dafür schuften wir- das ist ein armseliges Dasein- und krank macht es auch noch dazu.
Mensch Leute, werdet doch endlich wieder "normal" und betrachtet gesundes Essen -aus eigener Küche-als das höchste Gut.
« Jakobsmuscheln in Speck mit Seeteufel und Rosmarin | Karamelljoghurt » |