Die Suppe lügt!
Von Claudia am Aug 19, 2006 | In Rezensionen
Wo man Huhn schmeckt ist Huhn drin, wo pralle Kirschen auf der Packung abgebildet sind, finden sich auch Kirschen im Inhalt. Das gilt in der schönen neuen Welt des Industriegeschmacks nur noch selten. Längst würde die weltweite Ernte von Erdbeeren nicht mehr ausreichen, um alle Erdbeerjoghurts und -drinks dieser Welt zu aromatisieren. Was ein Großteil der Menschen schmeckt ist längst ein Produkt, das in den Laboren der Aromastoffproduzenten gemixt wurde. "Die Suppe lügt - Die schöne neue Welt des Essens" - so der plakative Titel eines Buchs von Ulrich Grimm. Wer das gelesen hat, wirft häufiger einen Blick aufs Etikett. Denn es ist nicht immer drin, wonach es aussieht.
In seinem Buch "Die Ernährungslüge" ging Hans-Ulrich Grimm auf Glutamat und Farbstoffe ein und beschrieb eindrucksvoll, welche Wirkung diese und andere Stoffe auf das Gehirn haben. In "Die Suppe lügt" geht's um Aromen. Die vermeintlich natürlichen und die naturidentischen. Und darum, warum all diese Stoffe so, ja sagen wir ruhig, gefährlich sein können. Dass wir schmecken hat ja durchaus seinen Sinn. Der Geschmack zeigt uns in den meisten Füllen an,
was genießbar ist und was nicht. Was aber, wenn wir ständig getäuscht werden und unsere Nahrung uns vorgaukelt etwas zu sein, was sie gar nicht ist? Bestes Beispiel sind die künstlichen Süßstoffe. Die vermeintlichen Light-Brausen mit 1 Kalorie suggerieren (oder zuckerieren?) uns, dass wir das pappsüße Zeugs literweise konsumieren können ohne zuzunehmen. Ein Trugschluss. Kennen Sie einen schlanken Menschen, der Unmengen an Light-Getränken zu sich nimmt? Die meisten tendieren wohl eher zum Gegenteil. Und das hat einen Grund: Der süße Geschmack signalisiert dem Körper, dass er sich gleich daran machen kann, den Zucker abzubauen. Der Körper schüttet dann Insulin aus, doch der erwartete Zucker bleibt aus. Darauf reagiert der Körper vor allem mit einem: "Cephalischem Insulin-Reflex", zu gut deutsch Heißhunger. Amerikanische Studien haben gezeigt, dass Frauen, die viel Süßtoff zu sich nahmen stärker zulegten als jene, die mehr Zucker aßen. Fast am?sant, wenn es nicht so traurig wäre: Saccharin, der älteste synthetische Süßstoff, "ist in der EU-Futtermittelverordnung für die Ferkelfütterung zugelassen, unter der der Rubrik 'appetitanregende Stoffe'", schreibt Grimm. Und wo wir schon mal bei den Schweinen sind: Auch unsere Haustiere kommen heutzutage nicht um Aromastoffe herum.
In Versuchen stellte man fest, dass Schweine unglaublich auf Erdbeeren mit Sahne abfahren, genauer gesagt auf den Geschmack der selbigen. Die Aromastoffe wurden der Fischmehlpampe zugesetzt und schon legten die Ferkel mehr zu als die Kontrollgruppe, die auf den exquisiten Geschmack verzichten musste. Bei Fischmehl würde mir persönlich auch der Appetit vergehen. Die Aroma-Tüftler kriegen aber auch Geschm?cker hin wie "Trüffel", "Heu und Kraut" oder "Maus" und "Regenwurm" (letzteres für Hühner). Dazu merkt Grimm an: "[...] eine besonders bewundernswerte Leistung der Labor-Mannschaft, vor allem hinsichtlich der sicher schwierigen Untersuchung, wie denn wohl das Original schmeckt."
Und vor lauter Aromastoffe, merken wir gar nicht mehr, was uns alles untergejubelt wird. "Der Geschmack, der eigentlich die Körperfunktionen in die richtige Richtung lenken sollte, ist endgültig eliminiert worden", so ein Fazit des Autors.
Grimm, ehemals Spiegel-Redakteur, recherchiert hervorragend, deckt auf und prangert an. Er zeigt, wie wir an der Nase herumgef?hrt werden und wie mächtig die Lebensmittelkonzerne schon sind. Hierzulande darf sich vieles hinter "Aroma" verstecken, was seinen Ursprung im Labor hat, sogar "natürlich" darf es sein, wenn es auch nur irgendwo in der Natur vorkommt. In den USA ist die Kennzeichnugnspflicht bisweilen besser: Künstliche Aromen müssen als solche auch erwähnt werden, vermeintlich geräucherte Produkte, die nur mit flüssigem Rauch geduscht wurden, müssen einen Hinweis tragen. Das bereits erwähnte Saccharin musste in Amiland übrigens jahrelang folgenden Zusatz haben: "Die Verwendung dieses Produkts kann Ihrer Gesundheit schaden. Dieses Produkt enthält Saccharin, das in Tierversuchen Krebs ausgelöst hat."
Gegen Ende widmet sich Grimm noch einem meiner Lieblingsthemen: Tütenware und Dosenkost ist selbst bei den Discountern teurer als Selbstgemachtes. Seine Berechnungen für Tütensuppen und Frikassee sind mehr als nachvollziehbar. Trotzdem sparen die Deutschen bei nix so sehr wie bei den Lebensmitteln. Grimm meint, dass uns bei dem Preiskampf der Discounter das Bewußtsein für den Wert der Lebensmittel verlorengegangen ist: "Niemand stört sich daran, 15 Euro auszugeben für einen Liter Motorenöl. Es geht schließlich ums Auto, und da wollen wir nicht mit irgendwelchen Billigölen experimentieren. Das Salatöl aber soll höchstens 1,99 Euro kosten." Darüber denken die wenigsten nach. Und zahlen klaglos im Café 3,50 für einen Latte Macchiato, während das Pfund Kaffee mit 3,50 Euro schon als zu teuer empfunden wird.
Grimm, der seit einiger Zeit im Netz als Food-Detektiv unterwegs ist, bleibt bei all den Fakten leicht und spannend zu lesen. Ich habe das Buch verschlungen und schaue jetzt noch öfter auf die Zutatenliste. Und wer genau hinguckt, der findet auch Alternativen. Muss ja nicht sein, dass Schokolade oder Mayonnaise zusätzliche Aromen beigef?gt werden. Und im Zweifelsfall: selber machen!
13 Kommentare
Das Problem ist, der bewusste Verbraucher tut das schon lange, aber es wird immer schwerer Produkte ohne Zusatzstoffe zu finden. Fr?her enthielten die Feinkostsalate Zucker, heute Saccharin, weil die dann nicht so leicht verderben. So geht es endlos weiter, schade eigentlich...
Ja, da gebe ich Dir recht, es wird immer schwieriger, wenn man auf bestimmte Zusatzstoffe verzichten will. Andererseits gibt es schon noch Produkte, die "unbelasteter" sind. Ich mixe mir Fruchtjoghurt zwar meist selbst, es gibt aber auch Firmen, die - wie ich neulich beim Walnussjoghurt beschrieben habe - auf K?nstliches verzichten. Bei Mayonnaise gibts von Thomy eine, die "Aroma" in sich hat, die von "Kraft" hingegen kommt ohne aus. Wenn man denn dem Etikett glauben schenken darf. Bei bestimmten Produkten m?ssen Aromastoffe noch nicht einmal erw?hnt werden.
Schlimm finde ich, dass es vielen Leuten einfach egal ist, selbst wenn sie wissen, was drin ist.
Das Buch habe ich vor geraumer Zeit schon verschlungen und kann Dir nat?rlich nur zustimmen - ein Must Read. Ein ?kotrophologe in de.rec.mampf meinte mal seinen Hass gegen Grimm und Pollmer loswerden zu m?ssen, das sei alles total falsch und ?berzogen...
Mayo: da interessiert mich zum Beispiel auch welches Fett drin ist, ob Zucker zugesetzt ist - eine die vor meinen Augen wirklich Gnade findet habe ich noch nicht gefunden, also weiter selbermachen.
Im Bioladen gibt es die Fruchtjoghurts auch ohne Aroma. Leider trotzdem ?berzuckert.
(Heute habe ich gerade wieder Leute gesehen die Maggi Fix f?r Rouladen gekauft haben. Das kann einem echt den Appetit verschlagen aber es schmeckt dann wohl wie bei Mama...)
Pollmer und Grimm w?rde ich nun nicht gerade in einen (Suppen-)Topf werfen. Pollmer polemisiert mir ein wenig zu viel. Fakten, die Grimm pr?sentiert, finde ich schl?ssig. Wenn beispielsweise Saccharin als Mastmittel klassifiziert wird, ist daran nicht zu r?tteln. Die Fruchtjoghurts aus dem Bioladen haben mich bislang auch noch nicht richtig ?berzeugt. Man muss einfach mal einen Naturjoghurt nehmen und solange Fruchtaufstrich reinr?hren, bis der Joghurt "wie gekauft" schmeckt. Dann hat man eine Ahnung davon, wieviel Zucker und Aromastoffe die Industrie braucht um solche Joghurts zu produzieren.
Zur Mayo: Gerade die leichten Mayos oder auch die Salatmayonnaisen sind ziemliche Chemiebomber. Bei den Delikatess-Mayonnaisen siehts meist nicht ganz so schlimm aus. Sollte aber zumindest nur eine ?lsorte drin sein und nicht nur "Pflanzen?l".
Zitat:
"Wo man Huhn schmeckt ist Hund drin" [...] "gilt in der sch?nen neuen Welt des Industriegeschmacks nur noch selten".
Hm... also, wenn k?nftig nur noch selten Hund drin ist, wenn etwas nach Huhn schmeckt, w?rde ich mich in der sch?nen neuen Welt des Industriegeschmacks durchaus wohlf?hlen k?nnen ;-)
Ansonsten wieder ein Buch, das auf meine "muss-unbedingt-gelesen-werden-Liste" kommt :)
Danke f?r die Korrektur. Ich denke auf die Idee, Hund f?r Huhn zu verkaufen, ist hierzulande noch keiner gekommen ;-)
"...Ich denke auf die Idee, Hund f?r Huhn zu verkaufen, ist hierzulande noch keiner gekommen..."
sagen wir mal so: noch kein Deutscher, aber...
http://www.vulcho.com/images/fun/it_wasnt_chicken.jpg
http://img45.exs.cx/img45/5140/rs784.jpg
Leider gibt's fast nur noch Nahrungsmittel, die den K?rper gerade so am Funktionieren erhalten, aber kaum noch Lebensmittel, die wirklich Leben vermitteln;
Ich kaufe meine Mayonnaise in der VG Dresden, Marke "De Rit" http://www.derit.de/ , die gibt es als Delikate?mayonnaise, Olivonnaise und Eifreie Mayo, ich mag die Oliven?lmayonnaise mehr.
Als Geschmacksverst?rker nehme ich gern (nicht nur f?r S??speisen) Vanilleschotenmark messerspitzenweise, wers nachmachen will: vorsichtig an die Dosis rantasten, es ist ganz schnell zu viel.
Ansonsten halte ich es mit Churchill: "ich traue keinem Geschmack, den ich nicht selbst gef?lscht habe." Bei Ch. gings allerdings um Statistiken.
Gr??e vom Gourmand Netz.Post.Fach@web.de
Sorry, das geht gar nicht hier. Ist eine Sicherheitsfunktion der Blogsoftware, die ich nicht ausschalten kann. Ich kann das aber verlinken.
Ja, es geht auch ohne Zusatzstoffe, Fertigprodukte, Tüten-Fraß, Fast Food und ohne Süssstoffe. Mein Mann und ich haben vor 1,5 Jahren unsere Ernährung komplett umgestellt. Ist etwas zeitaufwendig, aber wir haben in unserer Jugend gelernt, selbst zu kochen usw. Von selbstgemachter Limonade (Zitronensaft mit Zucker + Wasser) über selbstgemachten Joghurt (Naturjoghurt mit selbstgemachter Marmelade - nur aus Früchten und Zucker hergestellt) über selbstgekochte Suppen .... Es macht Spass mit (reinen) Gewürzen herumzuexperimentieren. Seit dieser Zeit haben wir gemeinsam über 40 kg an Gewicht verloren, ohne uns zu quälen, konsequent dabei zu bleiben und ständig Heißhunger zu verspüren. Selbst Sport zu treiben haben wir wieder begonnen.
Es geht!
Vielen Dank für den inspirierenden Kommentar. Abnehmen und gut essen müssen sich tatsächlich nicht ausschließen. Ich habe hier in Irland bei regelmäßigen Mahlzeiten - viel Nachtisch, viel Butter, viel Sahne - in 3 Monaten auch ein paar Kilo abgenommen. Manchmal muss man einfach nur auf seine innere Stimme hören.
Das war heute so ein wunderschöner Radio-"aktiver" Sonntag mit Ihrer Sendung.
Die letzten Jahre habe ich über die sozio-kulturelle Wirkung von Tabak und Koffeein auf die Synapsen (speziell bei Heinrich von Kleist in seinen Werken) geforscht. Es wird Zeit das eine breite Erkenntnisbereitschaft entsteht, was uns steuert und wie wir uns damit vielleicht "unbewußt" aber auf jedenfall selbst manipulieren. Wir sind vollkommen unabhängig und brauchen nur noch einen (persönlichen) Dealer.
Ein sehr guter Artikel. Ich denke ich werde mir das Buch mal genauer anschauen. Das Erdbeere-Geschmack bei der Sauenfütterung hin zugegeben wird ist mir neu, aber ich kann die Versuchsgruppe verstehen, denn was isst man lieber, Fischbrei oder etwas das nach Erdbeere schmeckt. Jedoch finde ich diese Entwicklung nicht gut. Der Trend sollte wieder weg von den Geschmacksverstärkern gehen, oder überall ganz dick vorne drauf stehen, sodass die Leute nur noch bewusst diese Stoffe zu sich nehmen können.
Viele Grüße Dennis
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