Jürgen Dollase: Kochuniversität - Tomaten
Von Claudia am Jan 15, 2008 | In Rezensionen
Der erste Gast-Beitrag bei fool for food! I proudly present: Oliver!
Oliver Küch lebt in Darmstadt, und wir haben uns vor über einem Jahr einmal in Hamburg kennengelernt. Da wusste er allerdings noch nicht, dass ich fool for food bin. Er las also eine ganze Weile hier mit, ohne zu wissen, dass wir bereits einmal gemeinsam zu mittag gegessen hatten. Ein Freund gab dann den Anstoß dazu, dass wir uns kulinarisch austauschten - und Oliver sein Interesse bekundete, ab und an als Gast hier zu schreiben. Lange Rede, kurzer Sinn: Hier ist sein erster Beitrag!
Die Bücher von Jürgen Dollase haben viele begeistert, mich eingeschlossen: Die Geschmacksschule, die Kulinarische Intelligenz und die Gourmetvision - die Titel wirkten zwar immer etwas dröge, aber zwischen den Buchrücken fand sich stets jede Menge interessantes Gedankengut. Da war ich natürlich gespannt auf die Kochuniversitöt, die gleich als Buchreihe konzipiert ist. Der Band "Tomaten" ist also nur die erste Folge einer Serie, deren weitere Titel (Pasta, Schwein und Einkaufsführer) bei Amazon schon vorbestellt werden können.
"Wer kochen lernen will, muss lernen zu verstehen, was eigentlich beim Kochen passiert", belehrt das Vorwort. "Hier setzt die Kochuniversität an. Ihr Ziel ist der Aufbau kulinarischer Kompetenz, die den Leser in die Lage versetzen soll, sehr viel selbständiger zu denken und so das Beste aus seinen Möglichkeiten zu machen. Das geschieht auf eine ganz spezielle und neuartige Art und Weise." Dollase geht es bei seinen Rezepten also nicht um Was, Wann, Wie, sondern vielmehr um das Warum hinter den einzelnen Rezeptschritten.
Trotz des Titels hat das schmale B?ndchen deshalb mit einem Tomatenkochbuch, das die besten Tomatenrezepte präsentieren will, wenig zu tun. Die Tomate ist hier nur Mittel zum Zweck, um den Leser über die sieben Stufen der Kochuniversität? zu führen. Kein Witz! Der Pfad der Erleuchtung beginnt mit einfachen Gerichten, bei denen die Tomate roh verarbeitet wird. Von da ab soll sich der gelehrige Küchenstudent über Ofentomaten, diverse Saucen und Suppen in immer komplexere Gefilde vorwagen, bis er nach Gelees, Söften und Tomatentörtchen die "komplexen Konstruktionen" wie den Tomatencocktail aus Air, Gelee und rosa Tomatensahne erreicht.
Angenehm sind die Zutatenlisten, weil sich Dollase um einfachste Zutaten bem?ht. Man muss also keine exotischen Tomaten besorgen, selbst vor handelsüblichem Ketchup schreckt er nicht zurück. Jedes Rezept besteht in der Regel aus einer anschaulichen Beschreibung der Zubereitung, einer Erkl?rung zum Aufbau des Rezepts sowie einer geschmacklichen Erläuterung. In den Erklärungen erfährt der Leser also mehr über den Sinn der einzelnen Arbeitschritte und damit Grundsätzlichkeiten oder allgemeine Küchenregeln, etwa dass es sich bei frittierten Kirschtomaten immer um einen "Spezialeffekt" handelt oder wie man mit mehreren Aromen einen intensiveren Geschmack erzeugt. Eine Saucenversion lässt die Aromen getrennt nebeneinander stehen, eine andere bündelt sie zu einer Mischung, bei der man die Einzelteile nicht mehr identifizieren kann. Und wer hätte gedacht, dass Butter manchmal auch die Funktion eines Gewürzes ausüben kann?
Keine Frage, die vielen Wiederholungen der Tomatenzerkleinerung und der lehrmeisterliche Tonfall nerven, das texturbetonte und pseudowissenschaftliche Vokabular ebenso. Die miese Bebilderung, die weder Arbeitsschritte verdeutlicht noch genussvolle Atmosphäre verströmt, wirkt lustlos, die mitunter schulbuchhafte Gestaltung einschläfernd. Dass Dollase auf die Angabe von Zubereitungsszeiten verzichtet, ärgerte mich sogar maßlos. Trotz allem habe ich das Buch mit Gewinn gelesen, nicht von vorne bis hinten und nicht der Reihe nach, aber immer wieder neugierig und staunend. Sein sachlicher Blick auf Küchentechnik, Rezeptstrukturen und seine Vielzahl an geduldigen Erklärungen machen es zu einem wertvollen Experimentierkasten, mit dem man immer wieder gerne hantiert. Hier eine Variation, da eine kleine Ablaufänderung und schon lockt man das eine Aroma hervor, deckt das andere zu oder lässt sich beide abwechseln. Nicht alles funktionierte beim ersten Mal, aber genug, um gelegentlich zu begeistern. In Dollases n?chternem Kochlabor kam ich mir vor wie ein Chemiepraktikant an der Zentrifuge, aber die geschmacklichen Aha-Effekte, die man mit dem kleinen Bändchen produzieren kann, sind aller Ehren wert.
Mir waren noch nie Kirschtomaten im Mund explodiert, ich hatte noch nicht daran gedacht, eine Zutat nach und nach hinzuzufügen, sodass sich die geschmacklichen Besonderheiten der verschiedenen Garstufen in einem Gericht vereinen. Die Kochuniversität ist langweilig und trocken, aber sie wirkt. Sie hilft Denkblockaden zu entfernen, alte Rezepte neu zu denken, bekannte Zutaten in ungewohnte Aggregatzustände zu versetzen und ?berhaupt kreativer und sehr viel zielgenauer an den Herd zu treten. Ganz nebenbei sind mir Tomatenmarmelade und Gem?seragout zu lieben Begleitern geworden, die ich immer wieder gerne auftische. Ich werde mir wohl auch den zweiten Band kaufen. Nur wann?
Der Veröffentlichungstermin wurde bereits mehrfach verschoben, die Pressefrau des Verlags konnte auch keinen definitiven Termin nennen. "Herr Dollase ist einfach unglaublich beschäftigt", hieß es dort. Claudia hingegen vermutete sofort, dass die Verkaufszahlen wahrscheinlich zu Wünschen übrig lassen. Bestätigen ließ sich das nicht, da der Verlag die Zahlen lieber für sich behalten wollte. Sei's drum, für das Weihnachtsgesch?ft ist die Kochuniversit?t ohnehin nicht geeignet, da sie absolut geschenkunw?rdig und im Wettstreit mit den Kochbuch-Bestsellern hoffnungslos unterlegen ist. Fazit: Wer über 100 Kochbücher im Schrank hat, lernt vermutlich wenig auf der Kochuniversität. Ambitionierte Kochanfänger, die ein wenig Selbstkasteiung nicht scheuen, bringt es schnell viele neue Erkenntnisse.
Jürgen Dollase
Kochuniversität 1 - Tomaten
Tre Torri, 2007.
ISBN 3-937963-42
Preis: 19,90 Euro.
4 Kommentare
Sehr sch?n. Ich bin mit Lob immer sparsam, weil ich selber oft das Gef?hl habe, wichtige und interessante Aspekte w?rden in beitr?gen vergessen, aber noch mal: Sehr sch?n. Oliver ist ein Gewinn f?r die Seite.
Bei amazon wird der 2. Band "PASTA" f?r Mai 2008 angek?ndigt.
Ich sehe gerade: Der 3.Band "SCHWEIN" ebenfalls f?r Mai 2008.
Auf die Angabe Mai w?rde ich mich nicht verlassen, zumal urspr?nglich gestaffelt ver?ffentlicht werden sollte. Ich glaube nicht, dass mehrere B?cher auf einmal erscheinen werden. Wer wirklich sicher gehen will, es nicht zu verpassen, einfach bei Amazon vorbestellen.
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