König Kunde ruiniert sein Land
Von Claudia am Sep 23, 2006 | In Rezensionen
Zurzeit ist die Globalisierung in aller Munde und vielfach an allem Schuld. "Der Spiegel" widmet ihr einen Titel, "Brand Eins" stellt die Septemberausgabe unter das Motto "Die Erde ist eine Scheibe. Und andere Missverständnisse der Globalisierung" und "The Economist" widmet der Weltwirtschaft mit "Surprise! The power of the emerging world" ebenfalls einen Titel. Von Sozialdumping ist die Rede, von Umweltsünden in den hintersten Winkeln der Welt. Die Politik wird gefordert, die Industrie in die Verantwortung genommen. Und einer hat in der ganzen Geschichte meist eine weiße Weste, weil er gar nicht oder nur am Rande auftritt: der Konsument. Bernhard Pötter geht in seinem Buch "Kunde König ruiniert sein Land - Wie der Verbraucherschutz am Verbraucher scheitert. Und was dagegen zu tun ist" (oekom-Verlag) den umgekehrten Weg.
Die Milch für 49 Cent? Das Suppenhuhn tiefgefroren für 1,99 Euro? Der Verbraucher ist dabei. In Umfragen dürfen es natürlich nur die Eier aus Freilandhaltung sein und auch das Suppenhuhn soll zumindest sein Leben mit Picken und Scharren im Hof verbracht haben. Wenn alle Befragten, die sich so äußern auch wirklich nur Eier aus Freilandhaltung kauften und "glückliche" Flatterm?nner in ihre Suppentöpfe fließen ließen - in Deutschlands Straßen wäre das Gegacker wahrscheinlich allgegenwärtig. Zwischen moralisch-korrektem Aufsagen und Handeln klafft in Deutschland eine Schere. Der Autor zeigt schonungslos auf, warum sich der Verbraucher verhält, wie er sich eben verh?lt. Er zeigt, warum wir uns vom Geiz leiten lassen, nicht nur bei Lebensmitteln. Warum sieben Jahre nach Liberalisierung des Strommarktes ?kostrom immer noch ein Schattendasein f?hrt. Warum ein Drei-Liter-Auto nicht von der Industrie, sondern vom Verbraucher verhindert wird.
Zwar ist Pötters Darstellung nicht frei von Redundanzen, liest sich aber dank guter Recherche und leichter Schreibe sehr leicht und interessant. Seine Schlussforderung nach einer Organisation wie "consumer watch" finde ich zwar lobenswert, aber etwas utopisch. Die Ratschläge für einen Widerstand gegen die "Geiz ist Geil"-Mentalität und für nachhaltiges Verhalten sind wohl vertraut - und kommen angesichts der Informationsf?lle des Buches etwas lieblos daher: Dass man vorausschauend Autofahren soll und die Reifen nur mit optimalen Luftdruck fahren soll, wei? theoretisch jeder Fahrschüler. Fleisch soll nur in Bio-Qualit?t gekauft werden, Energiesparlampen sollen herkömmlich Glühbirnen im Haushalt ersetzen. Weniger Urlaub in der Ferne, daf?r h?ufiger in der Region. Wäsche nur in vollen Trommeln waschen und die Heizung in bewohnten R?umen im Winter auf 18 GRad C regeln. Das ist zwar alles sinnvoll, diese Ratschläge standen aber weitaus ausf?hrlicher schon im Öko-Knigge der 80er-Jahre. Dabei schreibt Pötter ja selbst, dass man mit Moral und "besser für die Umwelt"-Parolen niemanden zu bewußtem Konsum und nachhaltiger Lebensweise bringt.
Ein Aspekt, den Pötter vernachlässigt: Der Konsument wird nicht als solcher geboren, er wird dazu gemacht. Und wie er "gemacht" wird, entscheidet jeder mit. Durch das eigene Verhalten. Kinder gucken sich verhalten ab. Bei den gro?en. Nur ein Kind, das mit den Eltern radelt oder viel zu Fußgeht, wird als Erwachsener nicht mit dem Auto zum B?cker fahren (ok, Ausnahmen bestätigen die Regel). Nur Kinder, die lernen wie gut frisches Gem?se und Obst schmecken kann, werden später die Pseudo-Früchte aus den Industrie-Treibh?usern in den Regalen links liegen lassen.
Der große Wert des Buches: die eigenen Gewohnheiten mal wieder überdenken. Meine Eier kaufe ich seit 15 Jahren aus Freilandhaltung. Ich bem?he mich, regional und saisonal einzukaufen. Das beherzige ich schon ganz gut, in letzter Zeit sogar bei der Milch. Doch die ist leider nicht im Supermarkt um die Ecke erh?ltlich. Daf?r dann doch mit dem Auto ...? Nein. Einmal die Woche im Gro?einkauf, dann noch einen Vorrat aus No-Name-Milch, falls mir die Milch ausgeht (ich verbrauche viel Milch!). Wo es geht, nutze ich öffentliche Verkehrsmittel, das Auto hauptsächlich beruflich, wenn ich viel zu tragen habe oder spät abends unterwegs bin.
Mein neustes Projekt: Stromfressern an den Kragen gehen. Dazu habe ich vor ein paar Tagen ein Strommessgerät gekauft und bin fleißig am Messen (Bericht darüber folgt!). Eventuell muss bald der Kühlschrank dran glauben. In einigen Lampen habe ich Energiesparlampen. Schon seit Jahren. Als jetzt die normale Glühbirne in meiner Artemide-Lampe durchknallte, hatte ich nur noch eine Energiesparlampe zur Verfügung. Die wirft in dieser sonst so tollen Leuchte ein ganz miserables Licht. Die sch?neren Energiesparlampen sind leider so dimensioniert, dass sie in das Design-Teil erst gar nicht reinpassen. Da gibts dann wieder eine konventionelle Birne. Bald werde ich dann auch den "Schalter umlegen" und meinen Energie-Lieferanten wechseln. Das kostet gar nicht so viel mehr.
Eines zeigt Bernd Pötter ganz deutlich auf: Der Konsument hat eigentlich eine sehr große Macht. Es zwingt ihn schließlich niemand, dieses oder jenes zu kaufen. Und wenn niemand mehr billigen Suppenhühner aus den Käfigen kaufen würde, müssten sich die Geflügelhalter etwas überlegen.
10 Kommentare
Dies Theorie hat leider nur einen Haken: Es kann sich nicht jeder das gl?ckliche Bio-Huhn leisten, obwohl er es gerne m?chte. Oder die (etwas) teureren anderen Produkte. Die fahren schon mit der ganzen Familie Fahrrad, um die Eink?ufe zu erledigen.
Ja, das mag f?r einige oder besser gesagt viele Leute stimmen. Aber wenn ich am Sonntagmorgen die Autos vor der B?ckerei hier sehe oder wahrnehme, was die Leute im Supermarkt f?r ein Geld f?r Fertigprodukte, Zigaretten und Alkohol ausgeben, kann einem schon schlecht werden. Oder wenn ich in der eigenen etwas entfernteren Familie sehe, dass es unbedingt zwei Autos sein m?ssen, wenn ein Garten ungenutzt bleibt, dann w?rde ich schon gern etwas missionarischer sein. Ich wei? sehr wohl, dass man gerade diese Leute nat?rlich nicht erreichen wird.
Es w?re ja schon viel erreicht, wenn mehr Leute ihren Fernseher nicht auf stand by laufen lie?en.
Oder - wenn sie es sich nicht jede Woche leisten k?nnen - alle zwei Wochen Eier aus Freilandhaltung kaufen. Da kann mir niemand kommen und sagen: "Das kann ich mir nicht leisten." Der Mehrpreis liegt im Bereich von ein oder zwei Zigaretten oder einer sms. Verlangt ja niemand, dass jetzt jeder auf der Stelle und sofort vom Aldi-Lidl-Ich-bin-doch-nicht-bl?d-denn-geiz-ist-geil-Konsumenten zum verantwortungsbewu?ten Nachhaltigkeitsfreak wird.
@ostwestwind
Das ist f?r viele sicherlich richtig, aber man sollte sich vielleicht auch ?berlegen, ob man nicht lieber einmal weniger die Woche zu McDonalds geht und das Geld dann f?r ein Biohuhn am Wochenende ausgibt.
Vielleicht mach ich mir die ganze Geschichte auch zu einfach.
Das sind zwei verschiedene Schuhe: zum einen die arme Gesellschaft, die jeher sozial schwach ist/war, weil einfach die geistigen Ambitionen fehlen, um in Zukunft zu mehr Geld oder einem ges?nderen Lebensstil zu kommen und auch die Kinder hinsichtlich einer ges?nderen Lebensweise zu mobilisieren. In die Richtung geht ja auch das Thema 'welche Kinder von welchen Eltern sind dick?'. Aus einer solchen Herkunft schaffen eben doch zu wenige Kinder dann den sozialen Aus- und Umstieg.
Dann gibt es das andere Paar Schuhe: Das sind dann die neuen Armen in unserer Gesellschaft, die, die sich sehr wohl bewu?t sind, dass sie mit dem Kauf des Massenhuhns aus der Tiefk?hltruhe die falsche Industrie unterst?tzen, die eben nicht rauchen, weil es ihnen der gesunde Intellekt von jeher untersagt hat, die ein schlechtes Gewissen haben, weil sie sich wieder nicht die Zahnprophylaxe haben leisten k?nnen u.s.w. Die gibt es und sie werden immer mehr.
Das l?sst sich alles l?ngst nicht mehr pauschalisieren und in die ?blichen Schubladen packen. Wir d?rfen nicht vergessen, da drau?en sind zunehmend Menschen f?r die auch das 1,99 Suppenhuhn aus dem Tiefk?hler zunehmend zum Luxusessen wird.
Genau die meinte ich: Ich habe noch die Wahl: Ich muss nicht, aber ich kann beim Discounter kaufen, die m?ssen es!
@creezy & ostwestwind: Ich stimme Euch zu, dass es auch die gibt, die gern w?rden, aber wirklich finanziell nicht k?nnen. Ich kenne dann wiederum aber auch Leute, die ich zu den Besserverdienern z?hlen w?rde, und die selbst im Discounter zum Billigsten vom Billigsten greifen. Ich war dieses Jahr schon zweimal richtig platt als mir gesagt wurde: "Ich kauf' eigentlich immer nur das billigste."
Pauschalisieren liegt mir fern, aber vielleicht muss man einiges mal ?berspitzt darstellen. Was ich am schlimmsten finde, ist die Ignoranz und der Phlegmatismus der bei den Themen Konsum und Lebensmitteln weit verbreitet ist. Wenn jeder nur mal ein paar Gedanken ?ber den Wert von "LEBENS-Mitteln" verschwenden und Handlungskonsequenzen daraus ableiten w?rde, w?re das schon ein gro?er Fortschritt.
Diese "Geiz ist Geil"-Mentalit?t ist nur ein Aspekt der umfassenden kulturellen Verwahrlosung unseres Landes. Die Ursache liegt tats?chlich in der Ignoranz und Inkompetenz unserer f?hrenden Schichten der letzten 30 Jahre.
Die schlimmsten kulturellen Erosionen wurden hervorgerufen durch ein Schulsystem, das immer weniger auf echte Inhalte verzichtete und eher schwammige Soziologien bevorzugte.
Zum anderen, und das ist wesentlich schlimmer, durch die Einf?hrung des Privatfernsehens ohne jegliche Regeln daf?r aufzustellen. Eine Kombination dieser beiden Punkte kann man jeden Tag sehen, wenn man den Fernseher einschaltet und kaum je einen korrekten deutschen Satz mehr h?rt. Und dieses Ph?nomen ist l?ngst nicht mehr auf die privaten Sender beschr?nkt. Nicht mehr am h?heren Massstab orientiert man sich, das Billigste und Schlechteste wird zur Norm erhoben an der sich alle orientieren.
Eine besondere Verantwortung in diesem Zusammenhang h?tte die obere Mittelschicht um zwischen h?herer Kultur und der Alltagskultur zu vermitteln, aber gerade diese Schicht hat kl?glich versagt und delieriert zwischen Besuchen in Sternerestaurants am Wochenende und Einkauf bei Aldi werktags umher. Ich kenne sehr verm?gende Leute die diese grauenhaften Fertigprodukte essen und dazu einen Wein trinken der ohne weiteres mehrere hundert euro kostet. "Obsz?ne Statusfresser" nannte Vincent Klink diese Leute einmal, die sich im Grunde von der Unterschicht nicht unterscheiden, bis eben auf die Tatsache, dass sie mehr Geld haben....die Verwahrlosung ist die Selbe.
Schaut Euch nur mal die wildgewordenen M?tter in England an, die ihren Kindern die Chance nehmen, wenigstens in der Schule gut zu essen. Sie boykottieren die von Jamie Oliver initiierte gesunde Schulspeisung und bringen ihren Kindern das gewohnte Junkfood auf den Schulhof. Den Kindern kann man keinen Vorwurf machen. Die werden wohl immer das s??ere und fettere Essen w?hlen, wenn man sie fragt. Aber was diese M?tter tun.... Ohne Worte. Da sind wir wieder bei der Armut im Geiste.
Und wie hier auch schon geschrieben wurde. Man sehe sich nur mal an, was die sog. Unterschicht sich in den Einkaufswagen legt. Literweise Limo und Eistee, der zu 99 % aus Zucker besteht. Chips, S??igkeiten und Zigaretten. Und wenn sie mehr Geld bek?men, g?be es wohl erstmal f?r jedes Familienmitglied ein Zweithandy. Mag sein, dass ich ?bertreibe. Es gibt Ausnahmen. Sehr verantwortungsbewusste alleinerziehender M?tter, die aus guten, regionalen und saisonalen (daher g?nstigen)Lebensmitteln ihren Kindern ordentliches Essen kochen. Aber das Thema bringt mich echt auf die Palme.
Zum weiterlesen
http://www.nourished.com.au/articles/finding-health-close-to-home-a-call-for-localism
Bio muss ja nicht unbedingt sehr teuer sein! Wenn nat?rlich nur auf den kleinen v?llig ?berteuerten Laden zur?ckgegriffen wird, mag das stimmen. Vielfach ist jedoch inzwischen schon im normalen Supermarkt m?glich, relativ Preisg?nstiges zu erwerben. Das resultiert zwar v.a. aus dem Vorteil der Gro?bestellung und anderere ausgehandelter Margen nichtsdestotrotz kann auch selber auf diesen Trick zur?ckgegriffen werden. So gibt es doch in vielen Orten sogeannte FoodCoops, die beim billigeren Gro?handel einkaufen. Da sind die verlangten Preise doch deutlich niedriger.
Au?erdem schmirgelt etwa Biofleisch l?ngst nicht so klein zusammen wie normales.
Zahlreiche Mensen haben das inzwischen als realtiv kostenneutrale Alternative f?r sich entdeckt.
Und wenn von normalem Fleisch ansonsten Unmengen gegessen werden, s?ttigt Biofleisch viel mehr und der Genuss bereitet bekanntlich ein eigenes fr?her eintretendes Befriedigungsgef?hl ;-)
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