W. Siebeck: Die Deutschen und die Küche
Von Claudia am Dez 13, 2007 | In Rezensionen
Entweder man hasst ihn oder man mag ihn - kaum ein Gastrokritiker polarisiert wie Wolfram Siebeck. Seine Worte meist so scharf wie feinste Kochmesser, oft sarkastisch und ab und an verletztend. An der Küche der Deutschen lässt er selten ein gutes Haar. Ich selbst schwankte häufig zwischen Bewunderung und Verachtung wenn ich wahlweise etwas etwas Polemisches, Unfaires oder einfach nur sehr Einseitiges von diesem Kritiker-Papst - im Feinschmecker oder der Zeit - gelesen hatte. Inzwischen meine ich: Wir brauchen noch viel mehr Gastrokritiker, die bis auf die Knochen sezieren, polarisieren und uns immer wieder daran erinnern, dass "das Ideal der deutschen Esser" nicht die "große" billige Portion sein sollte. Mit sehr viel Freude am Quellenstudium ist Wolfram Siebeck dem Phänomen der deutschen Küchen auf den Grund gegangen. Herausgekommen ist eine spannende Geschichte der deutschen Esskultur: "Die Deutschen und Ihre K?che"
Da Kochbücher ja immer noch boomen, fehlt auch der Zusatz "Mit 50 Rezpeten" nicht auf dem Buchdeckel. Um es gleich vorweg zu nehmen: Dieser Hinweis f?hrt ein wenig in die Irre. Es sind letztendlich n?mlich keine 50 Rezepte des Gourmets dabei, sondern eher Skurrilit?ten vergangener Jahrhunderte und Jahrzehnte. Der wahre Wert der Rezept besteht besteht in den Siebeck'schen Kommentaren. Beispiel "Labskaus": "Für einen hungrigen Matrosen auf hoher See, mag dieses Rezept viel versprechend gewesen sein, wenn er hungrig im Mast hing. Für den Gast im bürgerlichen Haushalt ist es eine Zumutung. Variationen davon werden noch heute in küstennahen Kneipen serviert. Zum Beispiel von Gourmetköchen in Hamburg." Dieser eine letzte Satz klatscht Hanseaten wie eine unerwartet Flutwelle ins Gesicht. Herrlich. Gehässig auch der Kommentar zum Hessischen "Bad Orber Beefsteak", das aus Hackfleisch zubereitet wird: "Wo der Unterschied zwischen Hackfleisch und Rinderfilet so bedeutungslos ist, wird auch der Bläheffekt der Zwiebeln keine große Rolle spielen." Schöner kann man ein Rezept nun wirkllich nicht kommentieren ...
Garniert wird die Geschichte der Deutschen und ihr Verh?ltnis zum Essen mit amüsanten Details am Rande. Oder hätten Sie gewusst, dass es noch um 1897 herum britischen Soldaten verboten war, Messer und Gabel zu benutzen, weil es der Disziplin und der Männlichkeit abträglich gewesen sein soll?
Sehr blumig beschreibt Siebeck auch die Folgen der Massenfabrikation und Automatisierung im Nahrungsmittelbereich: "In den Schulen wird bei der Beschreibung der Milchgewinnung wohl bald ein Psychiater eingesetzt werden. Zur Schonung der Psyche unserer Kinder, versteht sich, die andererseits durch die Boulevardpresse längst hemmungslos über Oralsex und andere Praktiken informiert werden."
Ein anderes amüsantes Detail, das ich bestimmt so schnell nicht vergessen werde: Friedrich der Große soll Senf in seinen Kaffee gerührt haben.
Siebecks launige Analysen des deutschen Geschmacks machen Spaß. Dabei ist gibt er gar nicht so oft den übellaunigen Kritiker, wie man meinen k?nnte, sondern zeigt sich durchaus als Verfechter einer K?che die das Gute aus alten Zeiten extrahiert und weiterentwickelt. Das ist nach Siebecks Meinung bislang am besten in ?sterreich verwirklicht worden: "Ob im Süden, Westen oder Osten des Landes, plötzlich hatte sich die deftige Küche der Alpen in eine verschlankte, moderne verwandelt, ohn die geringste Konzession an die amerikanische Fast-Food-Kultur zu machen." Diese Anpassung (Siebeck bezeichnet sie als kulinarische Intelligenz) geht für Siebeck folgerichtig mit einem hohen Lebensstandard einher: "Passend dazu besitzt Österreich den höchsten Anteil an biolgischer Landwirtschaft und kann einen Weinbau vorweisen, dessen Produkte weltweit mit den besten Weinen konkurrieren können. Gute Restaurant seien deshalb auch über das ganze Land verteilt und keine "Gourmettempel mit Kultstatus" wie in Deutschland. Feinschmecker in Frankreich und Deutschland suchten so etwas vergeblich, n?mlich "einen bruchlosen ?bergang zur modernen K?che unter Einbeziehung der jeweile regionalen Spezialitäten." In der Tat: Gute, normale Restaurants sind selten in Deutschland. Während die Spitzengastronomie für Furore sorgt, sieht es im Mittelfeld leider noch düster aus.
Was mich eben noch irritiert: Das digitale Cover verspricht von 60 Rezepten. Bei mir steht "50" drauf und laut Register sind es auch nur 50.
Insgesamt ein Buch, das ich mit gro?em Gewinn gelesen habe. Viele plausible Erklärungen für Entwicklungen auf dem Gebiet der Kulinarik, manchmal etwas gefärbt, aber das ist das gute Recht des Autors.
Update: Da der Link zum Buchladen schwer zu finden ist, hier die Buch-Info:
Wolfram Siebeck
Die Deutschen und ihre Küche
Rowohlt, 2007.
256 Seiten gebunden
ISBN 978-3871345838
6 Kommentare
Ich mag Siebeck und seine bissigen Kritiken gerne!
Na ja, zur Beruhigung, in Frankreich sieht es auch recht bescheiden aus, ausser den Sternel?den wird einem da in Brasserien oder Bistro auch grauseliger Food vorgesetzt...In Italien habe ich dieses Ph?nomen noch nicht beorbachtet, da kann man auch in einer kleinen Viertels-Trattoria gut essen!
Siebeck sprach im Text an, dass man auch in Frankreich nicht so leicht gute, einfache Restaurants findet. Habe vor fast 15 Jahren ?hnliche Erfahrungen in Frankreich gemacht. Das war bisweilen unter Mensa-Niveau. Bessere Restaurants konnte ich mir damals nicht leisten, und irgendwie hatten die meisten Studenten auch kein Interesse an gutem Essen. Aber das einfach = schlecht sein muss, wollte schon damals nicht in meinen Kopf.
Muss ja auch nicht!
Mann kann, zB mit einem Rotkohl, einfache und gute Sachen zaubern.
Ja ja, Mensaniveau ist wohl noch ?bertrieben......Da ist es bei McDo noch besser!!! Und, das Schlimmste, diese L?den sind dann auch noch teuer, das ?rgert mich am meisten!
In Frankreich (Normandie) haben wir meist auch als Spitzenerzeugnis der "normalen" K?che Croque Monsieur und Croque Madame erleben d?rfen...
Ich vermisse den Link zu Amazon... :-) Nicht das ich dort die Suche verwenden k?nnte - aber mit einem Link w?re es einfacher.
@Jan: Gleich am Ende des ersten Absatzes ist das Buch verlinkt, aber ich gebe zu, dass das helle grau nicht gerade gut lesbar ist. Habe den Link am Ende der Rezension noch einmal gut sichtbar eingef?gt.
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