We feed the World
Von Claudia am Jul 18, 2006 | In Rezensionen
Es ist rund 20 Jahre her, dass ich anfing, mich für Ernährung zu interessieren. Bei Projektwochen in der Schule trug ich mich immer bei den "Vollwertern?hrungsprojekten" ein und fand die Gerichte - als krasser Gegensatz zur häuslichen Dreifaltigkeit von Fleisch, Gem?se (vorzugsweise Erbsen und Wurzeln aus der Dose) und Kartoffeln - sehr spannend. Ich fing an zu kochen, lebte eine zeitlang vegetarisch. Nicht ganz unschuldig - wenn auch nicht ausschlaggebend - war damals der Film "Fleisch frisst Menschen", der den Zusammenhang von übermäßigem Fleischkonsum in den Industrieländern und verhungernden Menschen in der dritten Welt aufzeigte. Seit dem Film (1987) hat sich Vieles in der immer st?rker globalisierten Welt getan, die Menschen in den Industrieländern haben sich von ihrer Nahrung immer weiter entfernt. Sehr eindrücklich zeigt das im Jahr 2006 der Österreicher Erwin Wagenhofer mit seiner Dokumentation "We feed the World". Vieles, was der Film in bewegten Bildern verdeutlicht, aber nicht explizit ausspricht, ist im Buch "We feed the World - Was uns das Essen wirklich kostet" nachzulesen.
"Ein Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet", erklärt im Film der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler. Diese drastischen Worte könnten über jedem der acht Kapitel stehen. Wagenhofer zeigt Wahnsinn europäischer Bürokratie und Irrsinn fehlgeleiteter Agrarsubventionen auf, die beispielsweise dazu führen, dass europäisches Gemüse auf afrikanischen Märkten so billig ist, dass die einheimischen Bauern auf ihren hart erarbeiteten Waren sitzen bleiben und in ihrer Existenz bedroht werden.
Ähnlich wie im Film "Fleisch frisst Menschen" zeigt auch Wagenfelder eindringlich, wie der Anbau von Futtergetreide viele Menschen hungern lässt. Für die Produktion von einem Kilogramm Fleisch ist die 10-fache Menge an Getreide nötig. Wieviele Menschen man mit der entsprechenen Getreidemenge eines 250g-Steaks oder -Burgers einen Tag lang ernähren kann, stimmt nachdenklich.
Wer an Andalusien denkt, hat wei?e D?rfer, herrliche Landschaften unter gleißender Sonner vor Augen. Noch bilden die riesigen Gew?chshausareale in Spaniens Süden nicht die "Mental Maps" der Verbraucher. Doch die zugebauten Landstriche Andalusiens sind schon heute Realität. Tomaten und andere Früchte, die auf Steinwolle wachsen sprechen im Film eine deutliche Sprache. Längst ist eine Tomate aus Spanien, trotz Transportkosten, billiger zu "produzieren" als eine Tomate in England reifen zu lassen. Transportkosten schlagen beim Verkaufspreis mit nur 1% zu Buche. Die Schäden für Co2-Emissionen, Landschaftsschäden (durch immer mehr Autobahnen und Tankstellen), Lärmbelästigung, Staus und Unfalltote m?ssen von allen getragen werden.
Dass die in industriellen Gewächshäusern erzeugten Früchte häufig nicht mehr so gut schmecken "wie früher", liegt an der Bevorzugung und Züchtung von Gemüsesorten, die vor allem eins sind: einfach zu verarbeiten, lange lagerbar, hübsch anzusehen und m?glichst einheitlich groß, damit die Früchte problemlos ?ber Erntelaufbänder kullern können. Geschmack ist zweitrangig. Dass dabei ganz nebenbei die Artenvielfalt verloren geht, wissen die meisten Verbraucher nicht. Und deshalb stört es sie auch nicht. Artenvielt bei Nutzpflanzen - eines meiner gro?en Anliegen, besonders bei Tomaten.
Noch gefährlicher wird es, wenn Hybridsaatgut von Großkonzernen ins Spiel kommt: Bauern, die den Werbeversprechen der Saatgut-Multis glauben, begeben sich in Abhängigkeit. Denn ganz so problemlos, wie es oft gepriesen wird, ist auch das Hybridsaatgut nicht. Was mir nicht bewußt war: Einige Staaten unterstützen die Bauern die Saatgutkonzerne, indem sie Hybridsaatgut anfangs subventionieren. Sind die Landwirte erst einmal "angefixt", zahlen sie rasch die hohen Preise für das Hybridsaatgut.
Ich könnte noch vieles aus dem Buch aufgreifen, denn es geht dort in die Tiefe, wo die Bilder nur emotional greifen können. Wagenhofer liefert Hintergründe. Der Vorwurf, der ihm bisweilen gemacht wurde, er würde nicht werten, finde ich merkwürdig. Seine Bilder, seine Informationen sprechen ein sehr deutliche Sprache. Ich habe das Buch mit gro?em Gewinn gelesen.
Hier eimal die Übersicht über die acht Kapitel, die von Vorwort und "Making-Of" des Films eingerahmt werden:
- Gem?se - Kampftomaten, Spediteure & hungernde Bauern
- Brot - Soja-Gene, Brotabfall & Schweineborsten
- Milch - Kuhdoping, Konzernmacht & Superbakterien
- Fleisch - Güllebörsen, Schlachtabfälle & Emissionen
- Fisch - Fischmehl, Aquafarmen & der neue Riesenlachs
- Wasser - Virtuelles Wasser & realer Durst
- Hungern - Cash Crops, Subsistenz & Hungertod
- Konsumieren - Ökobenzin, Fairversand & Biosupermärkte
Man kann sich bestimmte Sachverhalte nicht oft genug vergegenwärtigen. Eine einfache L?sung bietet auch Wagenhofer nicht an. Ganz realistisch stellt er fest: "Subsistenz ist nur etwas für Hartgesottene und hat etwas von Rückzug und Aussteigertum."
Das aus seiner Sicht Sinnvollste fasst der Autor in seinem Schlusswort zusammen: "Die beste Strategie überhaupt ist Information. Die Zusammenh?nge zu kennen zwischen den für uns entworfenen Produkten in den Regalen und den Verheerungen, die ihre Produktion auslöst, hilft immer. Denn um unser Essen kümmern wir uns täglich."
10 Kommentare
Hallo,
danke f?r diesen Artikel ?ber das Buch "We feed the world". Es wird ja viel geschrieben und berichtet dar?ber.
Ich war mir zun?chst nicht ganz sicher, aber jetzt habe ich mich entschieden, das Geld f?r den Besuch im Kino einzusparen und dann in den Erwerb des gleichnamigen Buches zu investieren.
Gru?,
Alessa
hallo,
habe letztens den film gesehen und werde mir sicherlich auch noch das buch zulegen.
wenn ich in diesem zusammenhang vielleicht werbung f?r ein anderes buch mit ?hnlichem thema machen d?rfte?:
"die suppe l?gt" von hans-ulrich grimm.
seither gucke ich mir jedes etikett genau an und es gibt viele produkte (ziegenk?se z.b.), die ich heute nicht mehr kaufe, weil sogar dort fragw?rdige lebensmittelzus?tze drin sind. gem?se und obst aus spanien kaufe ich ?brigens auch grunds?tzlich nicht mehr.
lg susan
Bei uns l?uft der Film Ende diesen Monats im Programmkino, da werde ich mir den Film auf jedem Fall ansehen. Ich bef?rchte nur, dass sich diesen Film nur die ansehen, die sich sowieso schon bewu?t ern?hren und lokal einkaufen. Gru? Katja
Hm, und warum kriege ich meinen Kommentar nicht abgesetzt? Sind doch gar keine Schimpfw?rter enthalten? ;-(
Gut, dann schreibe ich etwas anderes. Die Crux liegt in dem letzten von Dir zitierten Satz: 'Den um unser Essen k?mmern wir uns t?glich!' Da liegt der Hase im Pfeffer. Denn die allerwenigsten Menschen k?mmern sich wirklich um ihr Essen. Sie k?mmern sich darum, etwas zum essen zu haben ? aber nicht mehr darum, was sie essen. Sie kaufen Fertigsalate, vorgesch?lte Kartoffeln, Kinder, die heutzutage in Deutschland in die Schule kommen, haben z.B. noch nie in ihrem Leben eine gr?ne Gurke gegessen. Es ist z.B. erwiesen, dass die meisten Menschen, die ?bergewichtig sind auch sozialschwache Menschen sind, die sich h?ufig eben nur von 'billigen' Fertigprodukten ern?hren k?nnen, anstatt von frischer gesunder Nahrung.
Ich habe neulich in der Biolebensmittelabteilung einer Kaufhauskette Bio-Produkte gesehen, die g?nstiger waren als die gleichen Produkte aus der Massenproduktion. Da geht der Trend wieder hin, von der Wirtschaft bestimmt: die Produzenten verdienen k?nftig mehr, wenn sie nicht mehr Bioprodukte anbauen. A(r)men!
@alessa: Ja, das Buch bietet mehr Information, daf?r sind die Bilder des Films eindringlicher. Letztlich erreicht der Film sicher mehr Menschen als das Buch.
@susan: Von Hans-Ulrich Grimm habe ich "Die Ern?hrungsl?ge" gelesen. "Die Suppe l?gt" steht auch auf meiner Leseliste.
@kaffeebohne: Im Programmkino ist das sicher nett. Das erinnert mich gerade an die Aktion der M?belmacher, die ein Programmkino f?r diesen Film gemietet hatten und ihren Kunden den Film in einer Gratis-Vorf?hrung gezeigt haben.
@creezy: Ja, Fettleibigkeit findet sich geh?uft in sozial schwachen Schichten. Das kann man schon an den Kindern erkennen. Es ist schockierend zu sehen, was die Eltern ihren Kindern damit antun.
Und ja, die sozial Schwachen kaufen bevorzugt Fertigprodukte, die ern?hrungstechnisch zum Himmel stinken. Weil sie oftmals nicht wissen, wie richtig gekocht wird. Aber auch, weil es ihnen schwer f?llt, sich ?berhaupt um sich zu k?mmern.
Der Kostenfaktor wird immer wieder angef?hrt, aber daran glaube ich nicht. Fertiger Milchreis und Pudding im K?hlregal, Currywurst fertig f?r die Mikrowelle und die ganzen Fertigmen?s - das ist alles ganz sch?n teuer. Gerade in sozial schwachen Familien findet sich neuste Unterhaltungselektronik, pro Haushalt gibt es mehrere Handys und oft wird geraucht. Am Geld kann es nur in den seltensten F?llen liegen, wenn sich Familien schlecht ern?hren. Aber die Deutschen geben prozentual gesehen sehr wenig f?rs Essen aus, obwohl sie mit die niedrigsten Preise im europ?ischen Vergleich haben.
"obwohl sie (die Deutschen) mit die niedrigsten Preise im europ?ischen Vergleich haben."
Wie kommst Du denn blo? darauf?
@Holger: ACNielsen (Marktforschungsunternehmen) hat in seinem "Euro Price Barometer" von Mai 2006 herausgefunden, das die Preise f?r einen aus 140 Produkten bestehenden Warenkorb in Deutschland und in den Niederlanden am g?nstigsten ist: http://ch.de.acnielsen.com/site/pr20060518.shtml
Focus online schreibt im April 2006 in "Nahe dran": "Selbst im Vergleich mit dem US-Markt, der f?r seinen harten Preiswettbewerb bekannt ist, sind unsere Lebensmittelpreise niedriger." Leider nennt die Autorin dort keine Quelle.
Danke f?r Deine ausf?hrliche Auseinandersetzung mit dem Buch und dem Thema, die ich gleich auch mit unserer Buchbesprechung verlinke: http://nachhaltigkeit.blogs.com/nachhaltig/2006/06/we_feed_the_wor.html.
Eine gute Erg?nzung inklusive Verbeserungsvorschl?gen dazu w?re das Buch von Bernhard P?tter "K?nig Kunde ruiniert sein Land" http://nachhaltigkeit.blogs.com/nachhaltig/2006/03/knig_kunde_ruin.html
das wir beim gestrigen Planungs-Besprechungs-Kochtreffen der Frankfurter Nachhaltigkeitsmesse "Future Fair" als Orientierungshilfe verwendet haben.
hallo,
also ich habe den film vor kurzem in der schule gesehen und er hat einem wirklich die augen geöffnet. wir müssen jetzt darüber einen vortrag halten und meine gruppe hat das thema alternativen. wir brauchen also möglichst viele ideen, wobei der wichtigste punkt auch das informieren und umdenken von uns, den verbrauchern, ist. vielleicht hat ja jemand noch ideen wie man das ganze gut umsetzen kann und welche punkte man noch ansprechen könnte. wir haben den teil über brotverschwendung in deutschland, den tomatenanbau in spanien und den sojaanbau in brasilien des films gesehen und müssen uns nur auf diese themen beziehen. vielleicht bekomm ich ja ne antwort auch wenn der letzte eintrag schon n paar jahre her ist. Lg
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