Internorga - Tricatel lässt grüßen
Von Claudia am Mär 14, 2007 | In Fundstücke, News, Foodie-Events
Wer auf die Internorga geht, muss sich zunächst einmal als Fachbesucher für die Internationale Fachmesse für Hotellerie, Gastronomie, Gemeinschaftsverpflegung, Bäckereien und Konditoreien ausweisen. Was dort angeboten wird, ist für den Otto-Normal-Verbraucher ohnehin meist nicht von Interesse. Oder vielleicht doch?
Bei 1000 Ausstellern auf 78.000 qm Fläche konnte mein gut dreistündiger "Bummel" über das Messegelände sicher nicht alles aufspüren, was interessant gewesen wäre. Gestaunt habe ich dennoch oft genug. Was dem Verbraucher sonst gern verschwiegen oder nett umschrieben wird, preisen Hersteller hier dem Fachpublikum mit vollmundigen Versprechungen an. Auf Messeständen mit zum Anbeißen aussehenden Backwaren loben Hersteller ihre Teiglinge in den Bäckerhimmel, große Lebensmittelkonzerne bieten Riesenpakete pulverisierter Bratensoße an. Angesichts der Größe der Konzerne und der Mega-Großpackungen scheint es unausweichlich zu sein, diesen Saucen irgendwann einmal mehr oder minder freiwillig auf freier Wildbahn zu begegnen.
Aus einer Broschüre: "Pizza Fond ist ein kaltl?sliches Pulver, das einfach und schnell mit Wasser angerührt wird. So entsteht in rationeller Herstellweise ein pikanter Pizza-Aufstrich mit Geschmack nach aromatischen sonnengereiften Tomaten [...].
Über einen Tortenguss heißt es: "Minimale Schaumbildung und gute Sprühfähigkeit für einen stabilen, schnittfesten und brillanten Tortenguss. Gefrier- und auftaustabil." Mit diesen Eigenschaften ließe sich eventuell auch so manches zugige Fenster abdichten.
Dressierbar, impffähig, angenehm leichtes Mundgefühl, gelingsicher, gefrier- und auftaustabil, lange Verzehrfrische: Mit diesen Versprechen werden Bäcker und Konditoren dazu verführt, Fertigmischungen einzusetzen. Was bei Louis de Funès' Kampf gegen den Fast-Food-Hersteller Tricatel ("Brust oder Keule") Mitte der 70er-Jahre bitterböse Zukunftssatire war, scheint schon lange Wirklichkeit zu sein.
Diese aus meiner Sicht düstere Seite der Lebensmittelindustrie war aber nicht der einzige Eindruck, den ich von der Internorga mitgenommen habe. An kleinen Ständen, die so klein sind, dass man fast vorbeiläuft, gab es auch Nettes zu entdecken: Kräuterhändler, die Restaurants und Großmärkte mit frischen Kräutern und Sprossen beliefern. Ich noch nie so viele Kressearten gesehen. Recht exotisch fand ich die Mini-Gurken, die Daumennagel groß waren, und dennoch gurkig schmeckten.
Mit einem großen Stand war auch die CMA vertreten. Showkoch Bernd Trum zeigte, wie man mit Zutaten aus deutschen Regionen leckere Tapas zaubern kann. Für Hamburg waren das "Hanseatische Frikadellen mit Senfzwiebeln". Die Senfzwiebeln fand ich sehr interessant. Viele Berufsschüler, die klassenweise zur Messe gekommen waren, verfolgten die Kochvorführung mit großem Interesse.
Interessant für mich, weil nicht alltäglich: Geräte, die man in Bäckereien und Konditoreien zur Teigherstellung und -weiterverarbeitung ben?tigt. Allein ein einzelner großer Schneebesen ist so groß, dass er nicht einmal in meine Spüle passen würde - selbst wenn sie doppelt so groß wäre ...
Ebenfalls nett: Einige Porzellanhersteller haben sich viel Mühe bei der Dekoration gegeben, so dass ich ein paar schöne Deko-Ideen sammeln konnte.
Ich hätte gern noch mehr Zeit gehabt, um mich umzuschen. Aber auch so war es ein sehr interessanter Vormittag.
8 Kommentare
Danke f?r den Einblick! Dieses ganze Fertigzeugs ist einfach nur gruselig - ich wei?, warum ich so viel selbst mache.
Ohhh, wie sch?n, dass Du uns mitgenommen hast ? und wirklich informativ. ;-
Toll, Dein post. Muss doch auch mal an die n?chste IGEHO in Basel gehen. Bislang hat mich der hohe Eintrittspreis, mit dem Nichtfachbesucher abgeschreckt werden sollen, davon abgehalten. Aber der Besuch eines Gruselkabinetts auf dem Jahrmarkt ist ja auch nicht umsonst.
Wie Recht Du hast! Da wird's einem ganz anders, wenn man mal Einblick bekommt, ich kenn das gut. In einem Restaurant, das sich auf seiner Internetseite r?hmt, hochwertigste Produkte zu verwenden, standen tats?chlich billigste K?figeier in der K?che rum. Wie Cascabel schon sagt: deshalb kocht man doch so gerne selbst.
Ich habe den Messebesuch auch als gro?e Best?tigung empfunden, vieles selbst zu machen. Im Nachhinein f?llt mir noch ein Slogan eines Food-Multis ein: "Von K?chen inspiriert" stand dort in gro?en Lettern. Mir ist lieber, wenn das Essen nicht nur von K?chen inspiriert, sondern auch von ihnen gekocht ist ...
Danke f?r den interessanten Bericht. Ich war diese Woche in Paris, und habe in einem Fachgesch?ft u.a. Riesent?ten entdeckt, aus dem man Mandelcreme oder auch Clafoutis zaubern kann, offensichtlich nicht f?r die gestresste Hausfrau gedacht... Die Mini-Gurken habe ich vorgestern bei Lafayette Gourmet entdeckt, wusste aber nicht genau, was ich damit anfangen k?nnte...
Ich les das grad (ein weiteres Mal) w?hrend ich Bio-Dinkelbrot mit Hirse und dazu Bio-Altbierk?se mampfe. Ich finde es auch erschreckend was so dem nichtsahnenden Kunden vorgesetzt wird, erinnert mich aber doch stark eben auch an meine Erlebnisse in der Gastronomie - von Bratensaucen mit Pulver bis Salatdressings marke Ihpfui. Wirklich gutes Essen ist immer schwerer zu finden, selbst Hotels kaufen vakuverpacktes Convenience-Food zu (mir fallen da die ber?chtigten BlockHouse Rahmchampignons ein, garantiert vor 2 Tagen in Meck-Pomm vakuumiert, und auch das Steigenberger kauft angeblich bei denen...)
Vielleicht schaff ichs ja 2008 auf die Internorga, so als Kochbuchautorin k?nnte ich Chancen haben reingelassen zu werden ;-) die kleinen Anbieter h?tten mich auch sehr interessiert.
@V?ronique: Die Riesent?ten f?r die Gastronomie, die Sch?ttelflaschen f?r den Hausgebrauch. F?r teures Geld kann man ja schon seit einiger Zeit so Banales wie Pfannkuchenteig zum Fertigsch?tteln kaufen ...
F?r die Mini-Gurken w??te ich nur im Salat Verwendung. Oder vielleicht f?r Gurkengeschmortes? Ich denke, dass die nicht ganz billig sein werden. F?r Geschmortes wohl zu teuer.
@Foodfreak: Ja, die Conveniece-Produkte machen auch vor der "gehobenen" Gastronomie nicht halt. Andererseits habe ich auch schon in K?chen geschaut, die einen unglaublichen Aufwand betreiben, um schmackhafte Gerichte zu kreieren. So ganz mag ich die Hoffnung nicht aufgeben. Im n?chsten Jahr werde ich mir mal Zeit f?r die "leiseren" St?nde der Internorga machen. Oder vielleicht lieber gleich auf eine Messe, wo die kleinen besser aufgehoben sind.
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