Schinkenimitat - gummiartig, kurz im Biss
Von Claudia am Jul 18, 2009 | In News
Zugegebenermaßen macht es mehr Spaß über leckeres Essen zu schreiben. Doch wie einige Erfolge der Verbraucherzentrale Hamburg zeigen, lohnt es sich, genau hinzuschauen und gegebenenfalls Druck auf die produzierenden Betriebe zu machen. Über Analogkäse, ein Käse-ähnliches Produkt, habe ich bereits berichtet, jetzt sind Schinkenimitate dran.
Es ist nicht so, dass Schinkenimitate eine Erfindung der letzten paar Jahre sind. Als Formfleisch, also aus einzelnen Fleischstücken zusammengepressten Fleischbrocken, gibt es gekochten Schinken schon lange. Für Formfleischschinken gelten aber strenge Regeln, gemäß den Leitsätzen des Deutschen Lebensmittelbuches muss dieser Formschinken die gleiche Zusammensetzung wie gewachsenes Fleisch aufweisen und zu mindestens 90% aus Fleisch bestehen. Das wird in der aktuellen Diskussion häufig durcheinandergebracht. Davon mag man halten, was man will. Erschreckend ist aber der kontinuierliche Rückgang des Fleischanteils in den vergangenen 16 Jahren bei den verwandten Schinkenimitaten.
Das Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit schreibt:
Der durchschnittliche Fleischgehalt der Erzeugnisse sank
von 82,8 ± 5,5 % (1993) auf 56,2 ± 11,8 % (2000). In den Jahren 2001 und 2002 wurden über 100
Erzeugnisse untersucht. 21 davon wiesen einen Fleischanteil unter 50 % auf und waren damit keine
Fleischerzeugnisse im Sinne der Leitsätze für Fleisch und Fleischerzeugnisse mehr. Der niedrigste
ermittelte Fleischanteil belief sich auf 39,5 %.
Der Rest ist Wasser, eventuell Kartoffelstärke, Soja-Eiweiß - alles "lecker" verbunden mit dem Emulgator E451(i) (Pentanatriumtriphosphat) und Gelatine oder Carragen.
Das Perfide daran, wie auch schon beim Käseimitat: Der Verbraucher kauft das Produkt meist nur indirekt im verarbeiteten Zustand. Die kleinen Schnipsel auf der Tiefkühlpizza oder die Mini-Stücke in der Pasta-Sauce beim Gastwirt um die Ecke wird kaum jemand einwandfrei als Schinkenimitat identifizieren können.
Gefunden habe ich in der Metro "Deko Pizzabelag nach Italienischer Spalla Cotta Art - Vorderschinkenerzeugnis aus teilweise fein zerkleinerten Vorderschinkenteilen zusammengefügt und geformt, grob entfettet, ohne Schwarte, mit Trinkwasser und Stärke, gepökelt und gegart." Und damit einem der Anblick dieses 5-Kilo-Klotzes erspart bleibt, ist er in silberne Folie verpackt.
Die Zutaten:
Schweinefleisch (51%)
Trinkwasser
Kartoffelstärke
Glukosesirup
Salz
Sojaeiweiß
Gewürz (enthält Senf)
Emulgator E451 (i) (Anmerkung: Pentanatriumtriphosphat)
Geliermittel E407 (Anmerkung: Carragen)
Konservierungsstoff E250
Antioxydationsmittel E300-E316-E325
Geschmacksverstärker E621 (Anmerkung: Mononatriumglutamat)
Das Produkt wurde in Belgien hergestellt. Mit 51% Fleischanteil kann dieses Erzeugnis also noch als Fleischerzeugnis durchgehen. Wichtig ist dabei gar nicht einmal, ob so ein Schinkenimitat in Deutschland erlaubt ist. Wichtig ist nur, dass es im Herstellungsland, in diesem Fall Belgien, den gesetzlichen Bestimmungen genügt. EU-Recht sei Dank, darf das Produkt dann auch hierzulande in den Verkehr gebracht werden, auch wenn der dt. Gesetzgeber anderes vorsieht. Bei leckerem Rohmilchkäse aus Frankreich - hierzulande lange Zeit nicht zugelassen - haben wir vor gar nicht so langer Zeit übrigens von dieser EU-Regel profitiert ...
Wie findig die Hersteller und Importeure sind, sieht man schon bei der Bezeichnung. Dröseln wir deshalb mal die Bezeichnung des "Pizza-Belags" auf:
"Spalla Cotta" heißt eigentlich im Italienischen nichts anderes als "gekochte Schulter". Das ist die gängige Bezeichnung für Vorderschinken. Bei dem Begriff "Vorderschinken" oder "Schulterschinken" sollte man wachsam sein:
Der WDR schreibt in einem Kochschinkentest 2007 sehr anschaulich:
Als Vorderschinken oder Schulterschinken wird das Fleisch von der Schweineschulter, das ähnlich wie Hinterschinken verarbeitet wird, bezeichnet. Da die Fleischstücke der Schulter kleiner sind als entsprechende Stücke des Hinterschinkens, werden zur Herstellung von Vorderschinken mehrere Stücke zu einem Ganzen zusammengefügt.
D.h. für den Verbraucher, dass Vorderschinken recht häufig ein zusammengepresstes, geformtes Produkt ist. Anders als der Hinterschinken.
Auf der von mir gesichteten Verpackung wird denn auch gar nicht erst behauptet, dass es sich um richtigen Kochschinken handelt, sondern lediglich um einen "Pizza-Belag" nach "Spalla Cotta Art" (also nach Art "Gekochter Schulter"). Es ist auch kein Vorderschinken, sondern nur ein Vorderschinkenerzeugnis aus teilweise fein zerkleinerten Vorderschinkenteilen. Der Gastronom oder Imbissbudenbesitzer wird in keinem Fall in die Irre geführt. Auf der Packung steht eindeutig und in großen, gut lesbaren Buchstaben, worum es sich handelt. Aus Versehen greift da niemand zu. Vielleicht schon eher beim Blick auf das Preisschild: 5 Kilogramm dieses Vorderschinkenerzeugnisses kosten netto 18,29 (19,57 brutto) Euro.
Zu Geschmack und Sensorik solcher Produkte schreibt das Journal für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit:
Schon aufgrund ihres sensorischen Eindrucks (Geruch und Geschmack: süßlich, leer, cooked-over-Flavour; Kaueindruck: gelee- bzw. gummiartig, kurz im Biss) und ihrer geweblichen Zusammensetzung (erhebliche Mengen an feinporiger bzw. geleeartiger Masse) stellen sie Produkte mit einem völlig anderen Charakter als Vorderschinken bzw. Formfleisch-(vorder-) schinken dar.
Diese Schinkenimitate liegen ja nun nicht zur Dekoration im Markt. Sie werden ihre Käufer finden. Bleibt dem Verbraucher nur, im Restaurant nachzufragen und bei Tiefkühlpizza und anderen Fertiggerichten, die Zutatenliste akribisch genau zu studieren.
Links zum Thema:
Verbraucherschützer decken Lebensmittel-Tricksereien auf (Spiegel-Online-Artikel)
Kochschinken im Test (WDR Servicezeit Essen & Trinken)
Schinken - Sorten und Begriffe (Wikipedia)
Preview zu einem Artikel über die problematische Bezeichnung von Kochpökelwaren, die nicht den weltweiten Qualitätsanforderungen entsprechen (Journal für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit)
Unterschiedliche Kriterien bezüglich der Anforderungen an Schinken innerhalb der EU (Verbraucher-Informations-System Bayern)
Mein Bericht (mit Bildern) zum Thema Analogkäse
11 Kommentare
Nachdem was ich im Zusatzstoffmuseum in Hamburg so gehört habe, ist das sogar noch "Kinderkrams"...
@nasebaer: Eigentlich bin ich ganz froh, dass ich Kochschinken noch nie so richtig mochte ...
@Balu: Ja, es kann fröhlich weitergehen: Schokoladenstreusel ohne Schokolade, Wasabi-Nüsse ohne Wasabi. In Horrorfilme braucht man wirklich nicht mehr zu gehen. Gibt's auf vielen Zutatenlisten gratis beim Durchlesen.
Was für Dich die fieseste Info, auf die Du gern verzichten hättest?
Den Leuten ist es doch eigentlich egal was sie (fr)essen - hauptsache billig und viel. Wenn ich mir die fetttriefenden Pizzen von unseren Lieferitalienern ansehen und wie sehr sich die Kunden darauf stürzen "aaah, molto bene wars wieder, Gianni!"
XXXL-Schnitzel mit 1kg Pommes, oder das gleiche panierte etwas mit einem Liter Jägersoße aus der Packung. LECKER!
Die Doofen haben es verdient. Wer denken kann, isst was anderes.
20€ pro Liter fürs Motoröl, aber den billigsten Scheiß für den Körper ...
Dazu noch Mozzarella-Granulat auf die Pizza. Dahin führten also die Bemühungen der Molekular-Gastronomie.
Ein Artikel, der wichtig ist die Aufmerksamkeit den Ernährungsmitteln gegenüber zu fördern. Ich danke dir dafür!
@Markus: Ja, stimme Dir zu. Viel & fettig - der Rest scheint vielen Leuten egal zu sein. Aber zumindest sollte man den Leute mal vor Augen führen, was sie da eigentlich essen.
@lamiacucina: Genau - die Molekular-Gastronomen sind das Ganze nur schlauer angegangen. Die nutzen ja sogar so etwas wie Methylcellulose zum Emulgieren und Formen. Kann man billig im Baumarkt kaufen: Tapetenkleister ...
@Alex: Ich denke manchmal, dass die, die es mal lesen sollten, ohnehin nicht zu meinen Lesern gehören ...
Neulich hörte ich folgende Worte in einem Hamburger Supermarkt vor dem Regal mit abgepacktem Schinken: "Is doch egal wie´s schmeckt, hauptsache ´s is saftig".
Da kann man dann noch so groß draufschreiben enthalten ist- so lange das Wort "Schinken" aufgelistet ist, wird es immer Käufer geben.
Dass die Werbung zwischen Text und Kommentaren Hilfe gegen "Bauchfett" verspricht - das haben Sie doch sicher extra gemacht: Chapeau!
Deko is dann auch der passende Name für eine solche Firma -Dekoschinken ;)
Nunja, wie schön, daß ich schon mind. 10 Jahre einen ausgeprägten Ekel gegen Kochschinken/ Vorderschinken etc. habe. Einzig der von der ganzen Keule geschnittene sündteure Rosmarinschinken kann mir ein Probefitzelchen entlocken... :)
Auch wenn die Leute, die Zutatenliste tatsächlich lesen würden, würden sie die wenigsten wohl zu interpretieren wissen oder es wäre Ihnen egal.
Nun, wer sochen Pizzabelag auf eine Pizza tut, um sie zu verkaufen, der muss das auch deklarieren. Bei Putenfleisch kommt man um Form-Fleisch meist gar nicht herum, wenn man nicht zu tief in die Tasche greifen möchte.
Vom selben Hersteller gibt es aber auch Puten-Formfleisch-Schinken mit hohem Fleischanteil, niemand aus der Imbissbude ist also gezwungen, dieses billige Zeug zu verwenden.
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